Das Interview Zlatan Ibrahimovics mit dem unkritischen Reporter von Expressen war von langer Hand geplant. Das wissen wir heute. Der schwedische Fußballkönig hatte sich unmittelbar nach der „Autoaffäre“ bereits maßlos darüber aufgeregt, dass man seinem Mannschaftskameraden Anders Svensson den Abschied vermieste und auch darüber, dass Mitarbeiter des schwedischen Fußballverbands, darunter sein engster Vertrauter beim SvFF, wegen der tolpatschigen und ignoranten Vorgehensweise in der Live-Sendung des TV4 kritisiert wurden.
Und wie schon damals im Getto von Rosengård in der nicht einfachen Kindheit gelernt, stellte sich Ibrahimovic wie ein Alfarüde vor sein Rudel, vor seine Gang. Man kennt dieses Verhalten von ihm auch auf dem Platz. Oft ist er vom Platz geflogen und auch die eigenen Mannschaftskameraden haben bisweilen die Leader-Eigenschaften des 32-Jährigen Schweden zu spüren bekommen. Nach einem Spiel seines AC Mailand 2011 trat er seinem Mitspieler Antonio Cassano „scherzhaft“ gegen den Kopf, als dieser sich mit einem Reporter unterhielt. Mit dem amerikanischen Abwehrspieler Oguchi Onyewu kam es, ebenfalls in Mailand, aber 2010, zu einem Faustkampf während des Trainings, als Ibrahimovis Onyewu mit ausgestreckten Beinen angrätschte. Marco Rossi (Bari) und Salvatore Aronica (Neapel) haben Faustschläge des Stürmers abbekommen, die jeweils zu roten Karten führten.
In Schweden hat das dem Ansehen des Nationalmannschaftskapitäns nicht im Geringsten geschadet. Er dürfte der mit Abstand populärste Besitzer eines schwedischen Passes sein. Seine Autobiographie „Ich, Zlatan“ hat nicht nur den majestätischen Titel, sie wurde auch innerhalb weniger Monate zum meistverkauften Buch in der Geschichte des Königreichs, erfolgreicher als alle Wallander-Krimis oder Stieg-Larsson-Geschichten.
Die schwedischen Medien begleiten jeden Schritt und auch jeden Tritt (das klingt jetzt irgendwie doppeldeutig) von Ibrahimovic mit ehrfürchtigem Staunen und beten ihn an. Die Zeitung Sydsvenska Dagbladet, die viel auch über den Frauenfußball und über den örtlichen Verein LdB FC Malmö (bald schon FC Rosengård, Ibrahimovics ureigenes Revier) berichtet, hat auf ihrer Internetseite unterhalb des Ressorts SPORT weitere Unterabteilungen wie MALMÖ FF, LdB FC und eben auch ZLATAN. Vor ein paar Jahren war ich auf der Fußballgala, die damals noch nicht in Ericsson Globe, sondern im kleineren Hovet stattfand und interviewte die Preisträgerinnen, Sara Thunebro, Therese Sjögran (!) und andere. Eine eifrige Reporterin von Aftonbladet stürmte hinter jedem Preisträger her und fragte nichts Persönliches, sondern wollte von allen jeweils ihre beste Zlatan-Erinnerung haben.
All das steigt zu Kopf. Dazu fließen jeden Monat 1,5 Millionen € netto auf die Konten des 32-Jährigen und wohin er auch kommt, empfängt man den bekennenden Katholiken ihn mit göttlicher Verehrung. Wer würde da nicht größenwahnsinnig werden?
In Europa vergleiche man ihn mit Messi und Ronaldo, aber wenn er nach Hause komme, werde er nach Lotta Schelin gefragt. Da müsse man sich doch schämen.
Der schwedische Fußballverband hat sich inzwischen gemeldet, nachdem sich erst einmal am gestrigen Tag viele, viele Journalisten und Spielerinnen gemeldet haben. Der Vorsitzende von SvFF, Karl-Erik Nilsson, gab seiner eigenen Homepage ein Interview, in dem er sagte, dass jeder Spieler das Recht auf freie Meinungsäußerung hätte. Man müsse das Interview aber auch genau lesen und da hätte sich Ibrahimovic doch immerhin mit großem Respekt vor den Leistungen der Frauen geäußert. Der Verband sei für Gleichberechtigung, aber jeder dürfe sagen, was er will. Da kuscht sogar der Verbandspräsident, aber von dem schwachen Nilsson konnte man auch nichts anderes erwarten. Immerhin hat die, mit heutigem Blick, schwachsinnige Idee des Verbands, Svensson ein Auto zu schenken, erst zu all dem geführt. Aber die Probleme liegen tiefer, die Autoaffäre ist nur der äußere Auslöser. Hier geht es um das Denken unter der Oberfläche und die ganze Diskussion zeigt nur, dass der schwedische Fußballverband in seinen Machtpositionen im Grunde genommen ebenso denkt wie Ibrahimovic. Frauenfußball wird primär gefördert, weil es eine starke öffentliche Meinung gibt, die das verlangt. Es ist politisch korrekt. Geliebt wird der Sport in den Chefetagen der Verbandsoberen aber nicht.
Pia Sundhage sagte schon am vorgestrigen Abend zum schwedischen Fernsehen.
„Das ist wirklich schade und schadet dem schwedischen Fußball, wenn sich ein Mannschaftskapitän so ausdrückt. Es zeigt auch, dass es im männlichen Wertekanon des Fußballs Mängel gibt.“
Nilla Fischer, Spielerin in Diensten des VfL Wolfsburg, tweetete: „Gehört zum Dümmsten, was ich je gelesen habe.“
Differenziert und klug äußerte sich Malmös junger Meistertrainer Jonas Eidevall in einem Interview mit Sydsvenska Dagbladet. Er attestierte dem schwedischen Fußballverband grundsätzliche Probleme und hob das Thema auf eine höhere Ebene.
„Fügt man das, was Zlatan als Nationalmannschaftskapitän gesagt hat, mit anderen Ereignissen zusammen, bekommt man den Eindruck, dass das, was außerhalb des Fußballplatzes geschieht, für den Verband bedeutungslos ist. Wie Nationalspieler auch außerhalb des Platzes agieren und was sie sagen, hat eine immense Bedeutung für die Zukunft des schwedischen Fußballs.“
Eidevall nennt die Nominierungen der Spieler Alexander Gerndt und Miiko Albornoz in die Männernationalmannschaft. Gerndt wurde 2012 wegen schwerer Körperverletzung begangen an seiner Ex-Frau rechtskräftig verurteilt, Albornoz erst in diesem Jahr wegen sexuellen Missbrauchs einer Minderjährigen.
„Der Nationaltrainer [Erik Hamrén] weist lediglich darauf hin, dass die Beiden nominiert werden können und dass das Einzige wäre, was zählt. Ich bin gegen Strafen auf Lebenszeit und auch Spieler, die Dinge gemacht haben, die nicht in Ordnung sind, sollen in der Nationalmannschaft spielen können. Aber Dinge unter den Teppich kehren und jeder Diskussion ausweichen, ist eine ganz andere Sache. Man muss aber darüber reden, um zu zeigen, für welche Werte der schwedische Fußball steht.“
„Der Verband muss deutlicher werden und sagen, für welche Werte schwedischer Fußball steht. Und kann man sich diesen Werten nicht anschließen, ja dann bin ich sehr skeptisch, ob man dafür geeignet ist, in der schwedischen Nationalmannschaft zu spielen.“
Ibrahimovic Angriff auf den Frauenfußball und als solcher muss das Interview aufgefasst werden, ist so fatal und destruktiv, weil er vom größten Vorbild dieses Sports kommt. Man mag sich fragen, warum der arrogante Macho Ibrahimovic vom Großteil einer ansonsten aufgeklärten und gleichberechtigt tuenden Bevölkerung wie ein kleines Kind verehrt wird, aber so ist es. Ibrahimovic gibt zehntausenden Jugendlichen nun das Signal, dass Mädchenfußball weniger wert ist. Mit seinen dummen, aber kalkulierten Äußerungen wirft er den Frauenfußball und seine Entwicklung in den Köpfen vieler Kinder und Jugendlicher um Jahre zurück. Zumindest war das sein Anliegen.
Auf dieser Spur auch der Kommentar von TV4 Sportchef Emir Osmanbegovic: „Das Schlimmste an Zlatans Äußerungen ist, dass sie als Wahrheit von hunderttausenden von Jungs aufgefasst werden, die ihn als Vorbild haben.“
Aftonbladets Robert Laul bezeichnete das Angebot Ibrahimovics den Frauen ein von ihm signiertes Fahrrad zu schenken und dass das völlig ausreiche als „höhnische Arroganz“.
Nicht unterschlagen werden sollte jedoch, dass erwartungsgemäß die Kommentarfelder bei einigen Artikeln überquellen von Hohn, Spott und Verachtung gegen den Frauenfußball. Das Thema wird uns weiterbeschäftigen, in anderer Form, aber es kommt wieder, leider.