Schweden schlägt Welt- und Olympiasieger USA

Zehn Minuten vor dem Ende des Spiels gegen China sagte Pia Sundhage zu ihrer Kapitänin Caroline Seger, dass sie mit dem 0:0 zufrieden sei. Dementsprechend hielten sich die Schwedinnen zurück und steuerten als Gruppendritter unweigerlich auf das Spiel gegen Weltmeister und Olympiasieger USA zu. Sportlicher Selbstmord, attestierten viele, inklusive auch mir.

Jetzt kann uns Pia Sundhage anstrahlen. Zum ersten Mal seit Frauenfußball olympisch ist, spielt die USA nicht um Medaillen. Ein Geniestreich der Trainerin, die 2008 und 2012 Giold mit gerade dem heutigen Gegner geholt hatte.

Schweden hatte mehr oder weniger erbärmlich gespielt im Turnier und steigerte sich dann doch um mindestens 100%. Stina Blackstenius brachte Schweden in Führung, Alex Morgan glich aus. Carli Lloyd erzielte ein klares Abseitstor, das nicht gegeben wurde. Lotta Schelin markierte ein ganz klares reguläres Tor, das wegen vermeintlichem Abseits nicht gegeben wurde. Schon deshalb haben die Schwedinnen den Sieg verdient gehabt.

Und wieder einmal war es Lisa Dahlkvist, die gegen Hope Solo einen wichtigen Elfmeter verwandelte, den, der das Tor zu den Medaillen, ja sogar bis um Finale für Schweden weit aufstößt. Aber machen wir uns nichts vor, das konnte Sundhage nicht voraussehen, als sie Seger zehn Minuten vor dem Ende der Partie gegen China um Zurückhaltung nach vorne bat. Oder?

Hope Solo hält nicht hinter den Berg: „Wir waren die bessere Mannschaft und die Schwedinnen spielten wie Feiglinge.“ Sie mag recht haben, aber das klingt natürlich ähnlich der Beschwerde Cristiano Ronaldos gegen Island bei der Männer-EM.

Solo glaubt nicht, dass Schweden sehr weit kommen wird, schon im Halbfinale gegen Brasilien oder Australien sieht sie die Endstation für Sundhages Elf.

Portugals zwei Welten

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Claudia Neto und Carolina Mendes am vergangenen Sonntag

Heute Abend spielt die portugiesische Nationalmannschaft der Männer gegen Wales um den Einzug ins EM-Finale. CR7 – Cristiano Ronaldo –lässt dabei niemanden kalt. Abgöttisch geliebt und bodenlos verachtet.

 

CN12?

So wie Ronaldo der mit Abstand beste Spieler seines Landes ist, so ist das Claudia Neto bei den Frauen. Die 28-Jährige aus dem idyllischen Ort Portimão an der Algarve hat als Erwachsene in Portugal nie Fußball gespielt, außer in der Nationalmannschaft.

Claudia spielte eine Saison lang Futsal, dann ging sie nach Spanien, zuerst nach Saragossa, fast 1.100 km entfernt von Portimão, da blieb sie fünf Jahre, bis es sie dann nach Barcelona zu Espanyol verschlug.

2014 im Sommer wurde sie von Linköpings FC geholt.

„In Claudia bekommen wir eine Spielerin, die ihre besten Eigenschaften in der Offensive hat mit ihrer feinen Technik und ihrem Gefühl für das Spiel. Sie hat große internationale Erfahrung durch ihre Einsätze für Portugals Nationalmannschaft. Sie wird eine interessante Neuverpflichtung sein für unseren Kader und ihre Eigenschaften passen gut zu unserer Spielweise,“  sagte Trainer Martin Sjögren zu der Verpflichtung.

Er wusste damals wohl nicht, wie Recht er hatte. Denn Claudia Neto schaffte es sofort in die Startformation und sie spielte so gut, dass sie dort auch nicht mehr wegzubekommen war, bis heute. 2015 wurde sie als eine der besten Mittelfeldspielerinnen auf der alljährlich stattfindenden Fußballgala nominiert – neben Malin Diaz Pettersson und Caroline Seger.

Die meisten Spielerinnen der portugiesischen Frauennationalmannschaft spielen in der Heimat bei Traditionsvereinen (der Männer) wie Benfica und Sporting. Im Ausland sind derzeit: Carole Costa, die beim BV Cloppenburg in der zweiten Staffel Nord spielt, Raquel Infante, die beim finnischen Erstligisten Åland United auf den Åland-Inseln spielt, Monica Mendes, die beim FC Neukirch in der Schweiz verteidigt, Suzane Pires in Brasilien bei Santos und Ana Borges bei den Chelsea Ladies. Hinzu kommen die beiden „Schwedinnen“, Caroline Mendes, die gerade erst aus Russland zu Djurgården kam und meist auf der Bank sitzt und eben Claudia Neto, die spielt und spielt und die Fäden zieht bei Linköping.

Am Sonntag nach dem Spiel bei Djurgården, bei dem Carolina Mendes und Claudia Neto wohl zum ersten Mal in ihrer Karriere gegeneinander gespielt haben, habe ich mich mit Claudia kurz unterhalten.

Wie fandest du das Spiel bei Djurgårde, ihr habt 1-0 gewonnen, es war ganz schön hart?

„Ja, es war ganz schön hart, aber das Wichtigste ist, dass wir drei Punkte gewonnen haben.. Wir hatten eine ganze Menge Chancen, haben aber ganz einfach keine Tore daraus gemacht. Das passiert manchmal, so ist das im Fußball.“

Vor zwei Jahren bist du nach Schweden gekommen, den Vertrag mit Linköping hast du vorzeitig verlängert, es läuft richtig gut hier?

„Ich bin sehr zufrieden hier. Ich konnte habe alle Spiele absolviert, was natürlich gut für mich ist. Ich will der Mannschaft in jedem Spiel helfen.“

Die portugiesischen Medien haben ein wenig angefangen, sich für Claudia und damit dem Frauenfußball zu interessieren. Aber es ist noch ein weiter Weg.

„Wir träumen davon, an einer Endrunde teilnehmen zu können,“ hat sie vor ein paar Jahren gesagt, aber auch an der EM 2017 wird Portugal nicht teilnehmen, zu groß bereits der Rückstand auf den großen Nachbarn Spanien und auch auf Finnland. Selbst Irland ist noch vor den Südeuropäerinnen.

Warum seid ihr in Linköping so viel besser als letztes Jahr, wo ihr im Prinzip denselben Kader hattet? Ist die Erklärung, dass ihr jetzt ein klares 4-3-3 spielt mit Pernille (Harder), Stina (Blackstenius) und Fridolina (Rolfö) da vorne?

„Das Spielsystem passt uns besser, ja. Und alle drei Forwards sind wirklich sehr schnell und das führt dazu, dass wir einfach mehr Raum haben, in den wir spielen können.“

Wie siehst du deine eigene Rolle im Spiel?

Ich habe eine sehr technische Rolle. Ich versuche, meine Räume im Mittelfeld abzudecken und ein gutes Gleichgewicht zwischen Abwehr und Angriff herzustellen.“

 

Eine Stunde mit Marta

Im ersten Programm P1 des schwedischen Radios gibt es eine 53 Jahre alte Tradition. In der Woche vor Mittsommer bis zum Ende der Schulferien spricht jeden Tag eine bekannte Person eine Srunde lang über Themen, die sie selber auswählt und spielt dazwischen selbstgewählte Musik.

Am 27.07.2012 wurde eine Stunde mit Marta Vieira da Silva gesendet, der fünffachen Weltfußballerin des Jahres, die in Umeå richtig groß wurde, dann zweimal die WPS-Meisterschaft in den USA gewann und dabei dreimal Torschützenkönigin wurde.

Hier sind übersetzte Auszüge aus der Sendung des schwedischen Radios:

ZUM ERSTEN MAL IN SCHWEDEN: „Manchmal werde ich gefragt, ob ich mich erinnen könne, was ich dachte, als ich zum ersten Mal in Schweden landete. Ja, ich weiß das noch. Es war am 4. Februar 2004. Auf dem Flughafen in Brasilien redete ich mit einem Mann, der Spanisch sprach. Er fragte, wohin ich fliegen würde und als ich Schweden antwortete, verstand er gar nichts. Er sah auf meine dünne Jacke und sagte *Caramba, hast du keine wärmeren Sachen?‘ Nach ein paar Zwischenlandungen, verstand ich die Frage des Mannes. Vom Fenster des Flugzeugs konnte ich keine Stadt sehen. Das einzige, was ich aus der Luft sehen konnte war: weiß, weiß, weiß, überall weiß, wie ein Ozean aus Schnee. Also, was dachte ich, als ich das Flugzeug verließ. Zwei Sachen: 1) Wie soll das gehen, hier Fußball zu spielen? und 2) Wie können Menschen hier leben?“

KINDHEIT IN DOIS RIACHOS: „Ich komme aus einer sehr kleinen Stadt in Nordbrasilien, Dois Riachos, von der nicht einmal die meisten Brasilianer etwas gehört haben. Da wohnen 10-12.000 Menschen. Ich habe vier Geschwister, mein Pappa verließ uns, als ich ein Jahr alt war. Meine Mutter arbeitete bei der Stadt als Putzfrau und wenn sie abends nach Hause kam, war sie kaputt. Obwohl sie hart arbeitete, gab es kein Geld für die Schule für mich. Ok, die Schule war kostenlos, aber nicht die Bücher, nicht die Hefte und nicht die Stifte. Als ich acht Jahre war, gingen meine Freunde jeden Morgen zur Schule. Selbst mußte ich warten, bis wir uns das leisten konnten. Während Mamma arbeitete, war ich oft bei der Großmutter und sah Fernsehen. Mit Hilfe von Kindersendungen im Fernsehen brachte ich mir selber das Lesen und Schreiben bei. Am meisten jedoch war ich draußen und spielte Fußball mit den Jungs auf der Straße. Meine Mutter war immer mein großes Idol. Sie verdiente nie mehr als etwa 100 € im Monat und selbst in Brasilien ist das nicht viel Geld. Meine erste Mannschaft war eine mit Jungs, es gab keine Mädchenmannschaften. Eines Tages kam der Opa eines Jungen in meiner Mannschaft zu mir und gab mir ein paar Schuhe. Das war das tollste Geschenk meines Lebens. Er war beeindruckt, dass da ein Mädchen mit all den Jungs spielte. Die Schuhe waren zwei Nummern zu groß. ‚Aber doch nicht szu groß‘, sagte ich. Ich wollte sie behalten. Und stopfte Papier hinein, um sie auszufüllen. Ich spielte in den Schuhen bis sie völlig kaputt waren.“

ANGEBOT AUS SCHWEDEN: „Als wir mit der Nationalmannschaft 2003 in die USA fuhren, um an der WM teilzunehmen, wusste ich eines: Fußball war die Chance, mir selbst und meiner Familie ein besseres Leben zu ermöglichen. Aber ich musste es zu einem Club auf dem höchsten Niveau schaffen, ich musste Profi werden. Die WM in den USA begann gut, wir gewannen gegen Frankreich und Norwegen, ich schoss Tore in beiden Spielen. Im Viertelfinale verloren wir gegen Schweden. Ich verwandelte einen Elfmeter, aber wir verloren mit 1:2. Wir fuhren nach Hause, hatten gut gespielt, aber gemerkt, dass wir einiges noch lernen mussten.
Im Januar 2004 begann das Telefon zu klingeln. Da war ein Mann, der sprach von einer Mannschaft, die Umeå IK hieß, die hätten Interesse an mir. Ich glaubte an einen Scherz, aber der Mann rief immer wieder an und hinterließ immer dieselbe Nachricht: Umeå IK in Schweden will dich haben, bist du interssiert? Ich antwortete ganz ehrlich, ‚ich weiß nicht mal, wo Schweden liegt‘, aber ich begann zu verstehen, dass diese Schweden es ernst meinten. Ungefähr zur selben Zeit kamen Leute vom schwedischen Fernsehen nach Brasilien. Sie wollten eine Reportage über Frauenfußball bei uns machen. Ich fragte die Fernsehleute nach dieser Mannschaft – Umeå. Sie sagten, dass Umeå eine der besten Mannschaften in Europa sei. Und dass mehr als die Hälfte der schwedischen Nationalmannschaft, die uns bei der WM geschlagen hatten, bei Umeå spielten, unter anderem die Spielerin, an die ich mich am meisten erinnerte: Schwedens Nummer 10, Hanna Ljungberg. In meinem ersten Jahr gewannen wir den UEFA Women’s Cup. Wir waren die beste Mannschaft Europas, vielleicht sogar die beste der Welt.In Umeå bekam ich auch zum ersten Mal den Preis als beste Spielerin der Welt.“

VON ZÜRICH NACH HAUSE: „Ein Winterabend in Zürich, wo die FIFA ihren Sitz hat. Es beginnt immer mit einem Cocktail für die nominierten Spieler. Dann geht man umher mit einem Drink in seinem schönsten Kleid und gratuliert den anderen Nominierten zu einem erfolgreichen Jahr. Messi, Cristiano Ronaldo, Xavi. Früher waren da auch Ronaldinho und Kaka. Unter den Frauen traf ich oft Birgit Prinz und zuletzt war da die äußerst tüchtige Japanerin Homore Sawa. Aber ich halte mich für gewöhnlich oft für mich selber. Ich bin nicht der Typ der sich unter die Leute mischt und ich will nicht stören. Wenn die Preise ausgeteilt sind, gibt es Abendessen und eine Party mit eingeladenen Künstlern. Aber so spät am Abend bin ich für gewöhnlich völlig fertig, sowohl im Kopf wie in den Beinen. Ich bin nicht gewohnt, mit hohen Absätzen zu gehen. Am liebsten will ich nach Hause ins Hotel, damit ich mir die Schuhe ausziehen kann.

„Es war ein paar Tage vor Weihnachten 2006. Nach einem Tag in Zürich reiste ich zurück über Rio. Und dann war ich endlich zu Hause. Oder beinahe. Das kleine Dois Riachos liegt drei Stunden mit dem Auto von Macaio, der Hauptstadt in unserer Region Alagoas. Trotzdem erkannte ich eine Menge von Freunden und Familie, die zum Flughafen gekommen waren, um mich zu empfangen. Ich hatte die grüne Jacke der Nationalmannschaft an. Denn auch wenn das ein individueller Preis war, so wollte ich zeigen, dass dieser Preis uns allen gehörte. Jemand gab mir die Flagge von Alagoa, rot, weiß und blau und die hatte ich um die Schultern. So ging ich runter von der Gangway, mit meinem Preis als beste Spielerin der Welt in der Hand. Als ich all die Menschen von zu Hause sah, die auf mich warteten, bekam ich einen dicken Kloß im Hals. Und als ich sah, dass da auch meine Mutter war, fing ich an zu weinen. Mamma und die anderen hatten da mehrere Stunden gewartet, denn mein Flug aus Rio war verspätet. Da waren nicht nur Freunde und Verwandte, sondern auch Minister des Bundesstaates. Sie hatten einen offenen Wagen besorgt und ich wurde zum Palast des Gouverneurs gebracht, wo der Sportminister eine Rede hielt. Trotzdem sehnte ich mich am meisten danach, mich bei meiner Familie ausruhen zu können.

Die Musik, die Marta ausgesucht hat, können Spotify-Nutzer unter Musiken i Sommar med Marta Viera da Silva 2012-07-27 hören.