Anja Mittag freut sich auf Wembley

Anja Mittag (rechts) im Duell mit Nilla Fischer (Schweden) am 29.10.2014 in Örebro

Anja Mittag (rechts) im Duell mit Nilla Fischer (Schweden) am 29.10.2014 in Örebro

Die Saison 2014 war individuell sicher eine der erfolgreichsten in der Karriere von Anja Mittag. 21 Tore und elf Assists sprechen eine überdeutliche Sprache und wenn man sieht, dass ihr FC Rosengård den Meistertitel in der Damallsvenskan mit 62 erzielten Toren gewonnen hat, dann war Anja also an rund 52% (!!) aller Tore direkt beteiligt.

Am Sonntag spielt sie zum ersten Mal im Londoner Wembley-Stadion, das mit 55.000 Zuschauern restlos „ausverkauft“ ist. (Wegen Arbeiten an der Jubilee und der Metropolitan Line bei Wembley hat man aus verkehrstechnischen Gründen die Zahl der Tickets auf 55.000 festgesetzt, statt möglicher 88.000, um die An- und Abfahrt der Fans bewältigen zu können.)

Eine Woche vor dem Spiel habe ich mich mit der 113-fachen Nationalspielerin unterhalten.

Warst du überhaupt vorher schon mal im Wembley-Stadion?

„Nein, ich war noch nie im Wembley-Stadion. Toll, dass da 55.000 Leute kommen, aber es wär ja wirklich fantastisch gewesen, wenn die noch mehr Karten verkauft hätten.“

Die Werbung für das Spiel in London war wirklich vorbildlich. Anfang Oktober war ich dienstlich in London und abends auch im Wembley-Stadion zum Männer-Qualifikationsspiel England – San Marino und konnte feststellen, dass man auf LED-Schirmen, aber auch durch wiederholte Stadionansagen deutlich Werbung für das Spiel machte.

Was weißt du über das gegenwärtige englische Team?

„Die Mannschaft hat sich positiv entwickelt und sie haben auch einen neuen Trainer {Mark Sampson],“ sagt Anja Mittag, versteht aber ebensowenig wie ich, warum Anjas englische Mannschaftskameradin Anita Asante nicht mehr im englischen Kader auftaucht. Dabei ist Asante Mitglied des All-Star-Team der Damallsvenskan geworden, eine der drei anerkannt besten Ligen Europas. Vielleicht hat Anita schlechte Karten, weil sie aus dem Kreis der Nationalspielerinnen die einzige ist, die nicht in England und der FAWSL spielt, spekuliere ich?

„Wenn es daran liegt, dann ist das wirklich komisch, denn gerade im Ausland entwickelt man sich doch als Spielerin,“ berichtet Anja. “

„Vor der WM 2011 wollte die deutsche Mannschaftsführung nicht, dass wir im Ausland spielen, weil es unsere Heim-WM war. Aber heute spielen einige in Frakreich und ich in Schweden. Es kommt doch darauf an, dass du in einer sehr guten Liga spielst und da sind Deutschland, Frankreich und Schweden wohl die besten in Europa. In den USA lohnt es sich nicht, zu spielen, weil die Saison einfach zu kurz ist. England ist sicher im Aufwind mit seiner Liga, aber noch nicht so gut wie die besten Drei.“

Weißt du denn noch, wann du zuletzt gegen England gespielt hast, frage ich, und rechne damit, dass sie es nicht weiß. Fußballspielerinnen sind weniger an Statistik interessiert als Journalisten und Fans und kramen so etwas auch nicht vor einem Länderspiel hervor. Nein, Anja Mittag weiß es nicht, aber als ich ihr das Stichwort „Unterhaching 2008“ gebe, da erinnert sie sich dann doch.

„Ja, an das Spiel kann ich mich noch gut erinnern. Das war kurz vor der Olympiade {in China] und danach wurden die Nominierungen durch Silvia Neid bekanntgegeben. Wir hatten nach dem Spiel einen sehr netten Abend, Lira Bajramaj und Celia Okoyino da Mbabi und ich, wir waren damals ja noch ganz junge Spielerinnen.“

Deutschland gewann 3:0 und auch das letzte Spiel etwas mehr als ein Jahr später zwischen den beiden Teams gewann Deutschland, dieses Mal 6:2. Es war das EM-Finale 2009 und Anja saß 90 Minuten lang auf der Bank als auf dem Rasen noch die große Generation der Birgit Prinz, Inka Grings und andere ihre Gala-Abschiedsvorstellung gaben. Es war nicht das letzte Spiel der Birgit Prinz, aber es war vielleicht der letzte große Höhepunkt im Nationaldress.

„Da waren wir durchgehend die bessere Mannschaft und haben das Spiel schon deutlich dominiert, auch wenn es bis zum 3:2 noch spannend war,“ erinnert sich Mittag an das Spiel im Olympiastadion von Helsinki.

In der Damallsvenskan gab es einen großen Durchmarsch. 20 Spiele, 18 Siege und zwei Niederlagen gegen Linköping. Ich fand es irgendwo auch langweilig, dass man vorher schon wusste, wer Meister werden würde und wer absteigt. Lediglich KIF Örebro vermochte zu überraschen. Aber Anja Mittag ist anderer Meinung. Ganz so einfach sei das wirklich nicht, die Damallsvenskan für Rosengård zu gewinnen.

„Ich sehe das nicht so, dass es keine Konkurrenz für uns gibt. Die Spiele gegen Teams wie Örebro, Eskilstuna oder Göteborg, da musst du schon 100% geben und die sind zum Teil auch sehr eng und wie du sagst, gegen Linköping haben wir 2 x verloren.“

Ja, das hatte ich mir als Extrafrage aufgehoben. Nur gegen Linköping setzte es 2014 Niederlagen. Wie konnte das passieren?

„In Linköping haben wir wirklich schlecht gespielt und wer weiß, vielleicht war das beim Rückspiel noch irgendwie in den Hinterköpfen drin. Wir bekamen auch ein frühes Gegentor und dann muss man auch sagen, dass Martin Sjögren Linköping immer sehr gut auf uns einstellt. Unsere Chancenauswertung ist dann auch zu gering gewesen und dafür wird man dann bestraft.“

Selber lief diese Saison wie am Schnürchen für dich. Ich weiß, dass du eine Mannschaftsspielerin par excellence bist und nie einen Erfolg für dich allein reklamieren würdest, aber wenn man an fast 52% der immerhin 62 Tore seines Teams beteiligt ist, dann sagt das doch viel aus über deine Saison. Und möglicherweise auch, dass es dem Team sehr schwer fallen müsste, dich mal zu ersetzen, wenn du verletzt sein solltest?

„Das hatte ich mir noch gar nicht so angeschaut, dass ich in der Liga bei mehr als 50% der Tore direkt beteiligt war. Ja, das ist wohl sicher eine gute Zahl, aber ich finde nicht, dass das Team von mir abhängig ist. Jede Spielerin ist wichtig und wir haben mit Marta, Ramona Bachmann oder Therese Sjögran und anderen viele Spielerinnen, die Tore machen können. Wir sind unberechenbar.“

Vor eineinhalb Wochen gab es in Schweden wieder einen großen Aufschrei, als auf der Fotbollsgalan, die live vom Fernsehen übertragen wird, ausgerechnet der Beitrag rausfiel, der die 200 Länderspiele von Therese Sjögran ehren sollte. In den Medien wurde wild darüber diskutiert, wie hast du das gesehen?

„Ich möchte eigentlich nur sagen, dass ich trotz allem positiv überrascht war, wie viele Männer danach in Zeitungen, aber auch im Internet unsere Seite ergriffen haben und sich für den Frauenfußball eingesetzt haben. Das wäre wohl in Deutschland nicht ganz so gewesen.“

In der Champions League gab es das große Aufeinandertreffen von Lyon und PSG, wo Lyon eigentlich die klar bessere Mannschaft war, aber dennoch verloren hat. LdB FC Malmö hat vor zwei Jahren im Viertelfinale gegen Lyon mit 0:5 und 0:3 verloren. Das muss doch eine Erleichterung sein, dass die nicht mehr dabei sind?

„Von den Mannschaften, die noch dabei waren im Achtelfinale, war Lyon sicher eine, die man nicht unbedingt treffen wollte. Die haben immer einen sehr hohen Spielanteil und sind sehr dominant. Dass sie nicht mehr dabei sind, ist schon eine Erleichterung für uns. Aber im Großen und Ganzen können alle Mannschaften die Champions League gewinnen, Glasgow und Bristol sind vielleicht eher Außenseiter.“

Kann es denn Rosengård mit Wolfsburg aufnehmen oder fehlt da noch Personal oder irgend etwas anderes?

„Ich denke, dass wir es mit Wolfsburg aufnehmen können. Natürlich ist das eine tolle Mannschaft, aber wir sind ein Gegner, den man nicht unterschätzen sollte. Ich würde sehr gerne ein Champions-League-Finale in Berlin spielen.“

Und das wäre dann sehr nah an der alten Heimat Potsdam, eine Stadt, in der du noch dann und wann zu Besuch bist?

„Ich bin immer wieder mal in Potsdam, hab da noch viele Freunde. Und jedes Wochenende schaue ich immer, wie Turbine gespielt hat.“

Damallsvenskan 2012

Morgen Mittag mache ich mich auf den Weg nach Tyresö, südöstlich von Stockholm, wo Hans Löfgrens Werk, das er vor gut fünf Jahren begonnen hat, den ersten Schritt seiner Bollendung erleben soll. Von der vierten Liga zum Meistertitel. Damals, so hat er mir einmal erzählt, spielte seine Tochter in einer Jugendmannschaft von Tyresö FF. Er hatte mitbekommen, dass die erste Mannschaft Tyresös gerade abgestiegen war. Und ein Gedanke keimte auf. In den Wochen darauf hat er dann seine legendäre Power-Point-Präsentation geschrieben, ist damit zum Vorstand des Vereins gegangen und hat seinen Plan vorgestellt. Das gerade abgestiegene Team sollte 2012 schwedischer Meister werden und 2014 die Champions League gewinnen.

Wenn man gerade in die vierte Liga abgestiegen ist, hält man solche Pläne und Visionen sicher für Wolkenkuckucksheime. Aber Löfgren kann Leute überzeugen, der Verfein sagte: „Mach mal“ und ernannte den Mittvierziger zum Sportchef. Er besorgte gleich fünf neue Spielerinnen aus der zweiten Liga und die Reise startete. Trainer war damals Tino Katsoulakis, ein Mann der Fußball mit großem Engagement lehrt und der bis heute sehr beliebt bei seinen Spielerinnen ist. Azra Durakovic ist ein großes Stück des Wegs mitgegangen, sie war Mannschaftskapitänin und spielte noch ein Jahr in der erstn Liga, 2010. Dann war sie aber schon nicht mehr gut genug. Und das ist das Traurige an der Erfolgsgeschichte. Von denen, die vor fünf Jahren den rasanten Aufstieg durch das Seriensystem begannen, ist heute keine einzige Spielerin mehr aktiv in der Mannschaft.

Stattdessen Weltklasse und schwedische Spitze: Marta, Vero Boquete, Caroline Seger, Elaine Moura, Kirsten van de Ven, Madelaine Edlund, Lisa Dahlkvist, Line Röddik Hansen, Linda Sembrant, Johanna Frisk, Annika Svensson, Carola Söberg. Das sind schon 12 Namen. Eine aus dieser beeindruckenden Auswahl wird morgen auf der Bank sitzen müssen. Trainer Stefan Fredriksson sagte mir am Dienstag in Göteborg, dass das auch seine Aufgabe sei: „Ich muss vermitteln und erklären, warum einige nicht spielen werden. Aber wir haben auch einen einzigartigen Luxus. Für die Nationalspielerinnen hat eine Saison bis zu 40 Spiele. Es gibt immer Wehwehchen. Wenn mal jemand angeschlagen ist, können wir sie immer fast gleichwertig ersetzen.“

Tyresö ist also der haushohe Favorit auf die Meisterschaft. Und Linköping, das sich so grandios verstärkt hat, wird durch den Kreuzbandriss von Linda Sällström zwar nicht wesentlich schwächer, aber die Alternativen werden geringer für Sportdirektor Jörgen Pettersson. Für Emma Lundh kann die Verletzung Sällströms allerdings den Stammplatz bedeuten. Eine Spielerin, der ich den Durchbruch und eine sensationelle Saison zutraue.

Ich werde jetzt nicht die Vereine der Liga herunterbeten. Malmö und Göteborg heißen die anderen beiden Teams, die es packen könnten, aber wohl eher um Bronze spielen werden. Aber an einem guten Tag können sie fast alle schlagen. Aber da Tyresö nicht nur die beste Spielerin der Welt hat, sondern vielleicht auch die zweit- oder drittbeste in Vero, muss sich schon eine der Beiden verletzen, damit es schief gehen soll. Achillesferse ist die Abwehr, die Vier sind nicht sonderlich schnell, das sind aber eben Manon Melis und Lisa DeVanna. Kriegt die portugiesischstämmige Australierin ihr berüchtigtes Temperament in den Gridd und bildet ein Angriffspaar mit Melis, dann dürfte das eine der besten Sturmreihen der Welt sein. Nicht auszudenken, wie das mit Sällström hätte aussehen können. Tyresös Abwehr wäre schwindlig geworden und hätte hinterhergehechelt.

Wir werden ein großes Mittelfeld haben in dieser Saison. Fünf Vereine: Kristianstad, Umeå, Örebro, Jitex und Piteå. Je nachdem, wer das Puzzle besser hinbekommt, wird vorne landen. Ein bisserl Glück gehört auch dazu und um mit Bernd Schröder zu sprechen: „Fußball ist keine Naturwissenschaft.“

Das Jahr ist wichtig. Nächstes Jahr ist nämlich EURO angesagt in Schweden. Wir müssen alles tun, um eine stabile und gute Zuschauerbasis aufzubauen. Schon wieder macht das Gerede von der besten Liga der Welt die Runde, nachdem Malmö und Göteborg im Viertelfinale der CL Tschüss sagen mussten. Dummes Geschwätt? Mitnichten. Die Saison in Schweden liegt halt so verquer, dass man immer ein Jahr auf die CL-Teilnahme wartet. Jetzt werden wieder Malmö und Göteborg teilnehmen. Beide werden wieder ins Viertelfinale kommen, dann werden wir sehen. Aber die eigentlich aktuellen Topteams Tyresö und Linköping steigen im August 2013 ein, nach der EM. Das ist schon ein verzerrter Wettbewerb. Mal schauen, ob Tyresö dann Lyon Konkurrenz machen kann. Denn die Französinnen holen den Cup i München.

Eine andere Prognose. Die WPS wird nicht mehr zurückkommen, aber trotzdem wird es Profifußball in den USA geben. Fußball ohne Gehirn hat der charismatische Torbjörn Nilsson das genannt. Rauf, runter, rauf, runter, schießenm schießen, schießen. Physisch ist man in den USA auf einem sehr hohen Niveau, Taktisch und vor allem technisch weit hinter Europa zurück, wenn man mal von den privilegierten Spielerinnen des USWNT absieht, der Nationalelf. Aber an Christen Press werden wir unsere Freude haben in Schweden. Habe nie verstannden, warum Pia Sundhage sie nicht auf den vorderen Seiten ihres Notizbuches hatte.

Olympia wird sehr spannend. Es gibt zwei Favoriten. Die USA und Japan. Und in Frankreich einen ernst zu nehmenden Außenseiter. Ich glaube weder an Brasilien noch an Schweden. Obwohl beide den drei Genannten einen Strich durch die Rechnung machen können, wenn diese nicht 100%-ig vorbereitet sind. Leider ist Deutschland nicht dabei, aber man selber seine Chancen auf tölpelhafte Weise versemmelt. Jetzt bomben sich die Deutschen zur EURO und mit jedem Vierer-, Fünfer- und Sechserpack scheinen sie einen Aufschrei auszustoßen, dass man sie nicht vergessen soll. Wird man nicht. Deutschland mit dem neuen Traumduo Anja Mittag und Celia Okoyino da Mbabi ist Topfavorit auf die EURO,

Aber auch nicht bei der U19-EM dabei. Zum ersten Mal. Das Team, das Maren Meinert in Västerås antreten ließ, spielte gef’ällig, überzeugte aber nicht. Schweden ganz anders. Elin Rubensson brachte es auf den Punkt. Wir haben das Beste aus unseren Möglichkeiten gemacht, strahlte die Malmöerin, der Anja Mittag und Katrin Schmidt bei den Deutsch-Hausaufgaben helfen, nach dem Spiel und in freudiger Erwartung einer Reise in die Türkei.

Morgen aber erst einmal geht die Damallsvenskan los, 3.000 werden in Tyresö zur Premiere erwartet.Mehr dazu in etwa 24 Stunden. Ein spannendes Fußballjahr beginnt. Freuen wir uns darauf.

Zweite Schwedenpleite in Folge: 0:4 gegen USA

„In vieler Hinsicht haben wir heute ein besseres Spiel gemacht als gegen Deutschland. Das Spiel war temporeich und kreativ, aber wir machen individuelle Fehler, die man gegen so einen Gegner nicht machen darf. Das muss man ehrlich sagen,“ so Thomas Dennerby zur zweiten 0:4 Niederlage innerhalb von 48 Stunden.

Die USA hatte Schweden im Spiel um Platz drei mit 4:0 besiegt und wo am Montag noch Celia Okoyino da Mbabi die dreifache Torschützin war, so gelang das Kunststück am Mittwoch Alex „Baby Horse“ Morgan. Abby Wambach erzielte das vierte Tor.

Bei zwei Toren sah die heute spielende Hedvig Lindahl richtig schlecht aus.