Ich bin nicht nach Kanada geflogen. Und werde es auch in diesem Fussballsommer 2015 nicht tun. Die Akkreditierung hatte ich bekommen, erstmals von der FIFA (danke, Sepp Blatter), aber dann haben sich Pläne geändert. Es gibt wichtigere Dinge. Und die Spielorte liegen so weit auseinander, dass man eine gehörige Portion investieren muss, um den ganzen Monat dabei zu sein. „From coast to coast“ ist das Motto im zweitgrössten Land der Welt.
Gestern Abend wurde gespielt. In Edmonton. Gastgeber Kanada und die Niederlande gewannen ihre Spiele in Gruppe A jeweils mit 1:0. Positiv: Die mehr als 53.000 Zuschauer in Edmonton. Der Treffer von Lieke Martens. Aus der Damallsvenskan. Christine SInclair war mal auf dem Weg in die schwedische Liga. Zampano Hans Löfgren wollte sie seinerzeit in seiner grenzenlosen Maßlosigkeit nach Tyresö holen. Vielleicht war sie zu teuer. Negativ: Das Eröffnungsspiel wurde schöngeredet. Kanada agierte sehr nervös, hatte nicht entfernt die Klasse, die man 2012 bei den Olympischen Spielen in London an den Tag gelegt hatte. Das gibt sich vielleicht noch. China spielte sehr gut organisiert, die Spielerinnen bewiesen exzellente Ballbehandlung, aber es war wenig, das einen wirklich erwärmte bei diesem Eröffnungsspiel. Das kann besser werden. Das wird besser werden, da bin ich sicher.
Dennoch: Ich bin derselben Meinung wie FIFA-Frau Tatjana Haenni, die gesagt hat, dass wir bei dieser WM krasse Resultate erleben werden. Die ersten beiden womöglich heute Abend, denn alles andere als klare bis haushohe Siege von Norwegen gegen Thailand und Deutschland gegen die Elfenbeinküste kämen einer Sensation gleich. Man hat auf 24 Mannschaften aufgestockt, das ist gut, das ist ein richtiger Schritt. Aber seien wir ehrlich: Bei der politischen Zusammensetzung des Teilnehmerfelds, wo eben nicht die besten Mannschaften der Welt, sondern die jeweils besten Teams aller Kontinente teilnehmen, wird es zwangsläufig zu vielen Klatschen und teilweise nicht WM-würdigen Auftritten kommen. Neuseeland hat noch nie ein Spiel bei einer WM gewonnen, aber trotzdem werden die „Kiwis“ jedes Mal dabei sein, denn im Ozeanischen Fussballverband, aus dem Australien aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten vor einigen Jahren ausgestiegen ist, gibt es außer Neuseeland halt Fischi, Tonga und den regelmäßigen Finalgegner bei Qualifikationen Papua-Neuguinea, im Englischen meist nur PNG genannt. Aber die Neuseeländerinnen spielen dennoch ordentlichen Fussball, auch wenn es dann nicht zu Siegen reicht.
Die FIFA-Weltrangliste ist schon ab dem 20. Platz sehr fragwürdig,. da viele Teams meist nur gegen andere Länder aus ihren jeweiligen Komföderationen spielen und so relevante Punkte erwerben. Aber wenn man auf die aktuelle Liste schaut, die Top 24 dieser Welt., dann fehlen in Kanada folgende Teams: Nordkorea (aus bekanntem Grund), Italien, Dänemark, Island, Schottland, Ukraine, Russland und Finnland. Das sind immerhin sieben europäische Nationen. Diese europäische Dominanz unter den weltbesten Teams müsste auch in wenigstens zwei weiteren europäischen Plätzen Niederschlag finden, aber die FIFA ist in ihrer Zwickmühle der Korruption und Desorganisation ja auch, weil sie der Weltöffentlichkeit mit dem Prinzip „One country – one vote“ eine Scheindemokratie vorgaukelt. Da mehr als 2/3 der Länder dieser Erde beim Korruptions-Index ziemlich schlecht aussehen, braucht man sich nicht zu wundern. Auch der Kontinents-Schlüssel ist ein Ausdruck falscher Grundeinstellungen. Man stelle sich vor, der Welteishockeyverband (ein Sport, den ich nicht verfolge) würde auch Mannschaften aus Afrika, Südamerika, Asien und Ozeanien in das WM-Turnier quotieren. Fussball ist sicher ausgeglichener, weil wesentich verbreiteter, aber man sollte der Leistung Rechnung tragen und auch und nicht zuletzt der Darstellung des Frauenfussballs.
Denn die Verächter des Frauenfussballs sind in den Startlöchern. Spiegel Online hatte die Kommentarfunktion bei seinem Artikel über die WM nicht abgeschaltet und dort ziehen die üblichen Verdächtigen vom Leder und giessen kübelweise Hass uind Spott über den Sport aus. Als ich das heute Morgen las, wurde mir wieder einmal klar, dass einige unter uns sich in der Evolution nicht weit vom guten alten Neandertaler befinden.
Wer Weltmeister wird? Wenn die Gruppen so ausgehen, wie man das erwartet, kommt es schon im Viertelfinale zu einem vorweggenommenen FInale zwischen Deutschland und Frankreich. Im Halbfinale würde der Sieger dann auf die USA treffen. Die andere Hälfte ist bedeutend „leichter“ gebaut. Da können die Schwedinnen tatsächlich weit kommen, wenn sie Brasilien aus dem Weg räumen. Möglicherweise käme es dann zu ener Neuauflage gegen Japan. Das wir schlecht einschätzen können, aber vermutlich sind die Nadeshiko nicht so stark wie vor vier Jahren, als sie trotz aller Warnungen noch den Outsider-Bonus hatten.
Überraschungsteam kann wirklich die Schweiz werden. Sie werden nicht den Titel holen, aber sie können tatsächlich das Viertelfinale erreichen, was ein Riesenerfolg wäre.
Welche neuen Spielerinnen werden ins Scheinwerferlicht der Weltbühne treten? Ich nenne da mal Christen Press, Melanie Leupolz und Nahomi Kawasumi.