Ich gebe es zu. Ich bin für Norwegen. Nicht gegen Deutschland. Aber für Norwegen. Seit vierzehn Tagen bin ich im Turnier und seit vierzehn Tagen habe ich nun mit der norwegischen Mannschaft zu tun. Ich habe mit zahlreichen Spielerinnen geredet, konnte das Training der Mannschaft beobachten und habe wie viele andere die entspannte, familiäre Atmosphäre im norwegischen Team untereinander, aber auch mit den Fans beobachtet und genossen.
Da wird nicht abgeschirmt, quotiert, ausgesperrt, verweigert. Da wird das norwegische Fernsehen NRK natürlich mit Interviews gefüttert, aber die anderen, die sich für den Frauenfußball einsetzen, werden nicht stiefmütterlich behandelt und lediglich zu nichtssagenden und langweiligen Pressekonferenzen eingeladen. Die Norweger freuen sich über jeden, der Interesse zeigt und hilft, den Sport zu fördern.
Många bäckar små, sagen wir in Skandinavien. Viele kleine Rinnsale werden zum Fluss.
Die norwegische Pressekonferenz fand voillständig auf Englisch statt, damit alle Journalisten gleichermaßen teilnehmen konnten und die norwegischen Medien wurden keineswegs bevorzugt. In Deutschland gibt es Vorfahrt für Deutschland. Auch die öffentlichen Kanäle und Zeitungen führen sich oft dementsprechend auf. Das fällt auf. Wie angenehm dagegen die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Norwegen.
Nach dem Training dann Mixed Zone. Gelegenheit, ohne vorher in jahrelangen Beziehungsgeflechten zwischen Presseabteilung und Journalisten ausgehandelte Privilegien mit Spielerinnen zu sprechen. Regel: Wer zuerst steht, mahlt zuerst.
Maren Mjelde. Am Donnerstag haben wir uns zuzletzt getroffen. Da warst du sehr müde nach dem Spiel. Wie sieht das heute aus?
„Ja, da war ich schon sehr müde. Aber jetzt bin ich wieder fit. Ich bin erwartungsvoll und richtig glücklich. Diese Arena ist einfach Wahnsinn. Eine fantastisch schöne Arena. Das wird ein unglaublich schönes Erlebnis, hier spielen zu dürfen.
Morgen sind dann ja auch viele Leute hier, da geht dann wirklich ein Traum für mich in Erfüllung. Heute Abend werden wir nicht mehr so viel machen. Ausruhen, uns auf das Spiel mental vorbereiten. Ich schlafe normalerweise sehr gut, ich glaube, das wird auch heute Abend klappen. Nach dem Finale habe ich dann noch eine Woche frei, gehe nach Norwegen und dann ist es wieder Zeit für das Training in Potsdam.“
„Für mich war das bisher ein geradezu unglaubliches Jahr,“ erzählte mir Norwegens Supertalent Ada Hegerberg.
„Ich habe gleich ein paar Schritte als Fußballspielerin getan und mich doch sehr weiterentwickelt. Es ist nicht einfach, auf diesem Niveau zu bleiben, um dann auch hier spielen zu können. Man kann wirklich sagen, dass das ein arbeitsreiches Jahr ist,“ so Ada.
Ada, die mit gerade einmal 18 Jahren und 18 Tagen unglaublich reif wirkt. Ada, die nach dem Training immer eine der Letzten ist, die noch trainieren. Schüsse aufs Tor. Liegestütze und Balanceübungen mit Händen und Füßen auf Bällen. Eine fleißige Arbeiterin ohne Allüren mit dem fußballerischen Talent und, viel wichtiger dem Charakter, den es braucht, um eine ganz Große zu werden. Eine uneingebildete, herrlich normale junge Frau, die mit beiden Beinen auf der Erde steht.
Ich habe in den Jahren, in denen ich nun Frauenfußball verfolge und darüber schreibe, viele Talente gesehen. Das, was letztlich die Spreu vom Weizen trennt, ist der Charakter. Jedenfalls bilde ich mir das ein. Der Fleiß, die Energie, aber nicht zuletzt auch die Demut. Ada Hegerberg hat das Zeug dazu. Es wird sehr interessant sein, ihren weiteren Weg zu verfolgen. Wenn sie sich nicht schwer verletzt und wenn sie am Boden bleibt, dann wird man sehr viel von ihr hören.
Genug des Lobes.
„Sowohl meine Schwester Andrine als auch ich sind im Januar bei Mutter und Vater ausgezogen und haben unsere Eltern erst einmal alleine gelassen. Aber uns geht es gut in Deutschland und wir haben schon viel Besuch bekommen,“ erzählt sie mir. „Natürlich entwickelt man sich dadurch auch weiter als Mensch.“
Wesentlich routinierter dagegen die 33-Jährige Torfrau Ingrid Hjelmseth. Sie schaut sich mein Namensschild genau an, als ich sie gefühlt zum fünften Mal während des Turniers anspreche.
„Ich denke, das Niveau der Torhüterinnen hat sich deutlich erhöht. Wir haben in diesem Turnier wirklich eine ganze Reihe guter Torfrauen gesehen,“ sagt Hjelmseth und ist nach Meinung vieler, die ich getroffen habe, die Beste von allen, nicht erst seit ihren beiden Glanzparaden im Elfmeterschießen gegen Dänemark.
„Nein, ich habe noch nicht geschaut, wie die Deutschen Elfer schießen,“ beantwortet sie meine Frage. „Aber ich gehe davon aus, dass unser Trainerteam sich das angesehen hat. Spielerisch gesehen glaube ich, dass wir ein ähnliches Spiel wie das in Kalmar sehen werden. Jetzt hatten alle von uns Gelegenheit, wieder Kräfte zu sammeln und ich glaube auch, dass selbst wenn jemand müde sein sollte, so wird sie beflügelt werden beim Gedanken an das Finale und die 50.000 Zuschauer, die da morgen auf uns warten.“
Und schließlich läuft mir noch Solveig Gulbrandsen über den Weg, eine Spielerin, die ich extrem schätze, ein Genuss, sie am Ball zu sehen. Sie kann das Spiel langsam oder schneller machen, den Ball halten, andere in Szene setzen und selber Tore schießen.
Wird das dein größtes Spiel morgen? Du hast ja doch schon einiges in deiner Karriere erlebt.
„Es ist schwer, diese Spiele alle miteinander zu vergleichen,“ sagt Solveig Gulbrandsen. „Es wird ein großes Spiel, keine Frage, das ist ein tolles Stadion und das wird ein großer Spaß werden. Ich habe schon einige FInals gespielt und wie gesagt ist es schwer, das zu vergleichen. Wir sind wirklich wie eine große Familie in unserem Team. Wir haben einen großartigen Zusammenhalt. Für mich ist das unglaublich, denn vor einem halben Jahr wusste ich wirklich nicht, dass ich heute hier sein würde.“